Der bretonische Himmel

Jeden Tag ein bisschen mehr fragte ich mich im letzten Sommer, weshalb die Gallier die Bretagne Ar(e)morica, bretonisch arvorig, keltisch are-mor, genannt haben – Land am Meer – und wieso sich bisher niemand dagegen aufgelehnt hat. Die Bretonen sind doch sonst so stolz und können durchaus wehrhaft sein. Warum nicht Land an Meer und Himmel? Vielleicht, weil der Himmel allen gehört und noch weniger als das Meer begrenzbar ist auf einen Landstrich, auch nicht auf diesen? Jeder hat, kennt ihn, lebt mit ihm. Dem Himmel. Ohne den Himmel wäre alles nichts.

Doch der Himmel ist groß über der Bretagne und so allgegenwärtig wie das Meer. Nein, noch präsenter, denn er spannt sich auch über das Land, la terre, argoat, in einer Weise, dass man ihn nicht ignorieren kann, er drängt sich auf. Auch dort, wo das Meer, armor, unsichtbar ist. Dass mir das früher nie so aufgefallen ist… Elf Jahre hatte ich die Bretagne nicht gesehen (genauso lange wie Paris, fällt mir gerade ein – aber, was für Gegensätze, wenngleich auch der Pariser Himmel ein ganz besonderer ist!).

Und dazu dieses Licht, untrennbar vereint mit den Wolken, den Wolkenlücken, dem Himmel. So ganz anders als das mild gefilterte (sofern der Mistral nicht für mindestens so harte Kontraste, Augenschmerzen und andere Irritationen sorgt) Sommerlicht im Süden Frankreichs. Es blendet, macht aus Schieferdächern Silberflächen, bringt leuchtende Farben zum Glühen, hebt Kontraste hervor und tut manchmal fast weh.

Glattblau wie ruhige See war der Himmel nicht oft. Zumeist übernahmen Wolken die Regie.

Hoabrenn, der Himmel, le ciel, huibren, Wolken und Himmel, les nuages et le ciel. Was wäre der bretonische Himmel ohne Wolken?

Mal spielten und tanzten sie weiß und fröhlich über den Booten oder

taten den Badenden und Sonnenden wohl, etwas Schatten spendend. Die Strahlen, die es hindurch schafften, waren umso erbarmungsloser.

Dann wieder hielten sich die Wolken diskret über dem Meer und verschonten die Puppenhäfen,

um sich kurz danach vielfarbig zu formieren, die Strandgänger den Rückzug antreten zu lassen

und dann doch das Festland zu erreichen.

Manchmal spuckten sie in der Ferne den typischen feinen Sprühregen aus, ohne wie Regenwolken auszusehen, gut getarnt.

Dann wieder trat kaum ein Tropfen heraus, obwohl sich der Wolkenhimmel breiter machte als das Meer.

Überhaupt gab es in diesem Juli viel Dramatisches zu sehen da oben, die Wolken taten sich hervor in den unterschiedlichsten Formen und Farben, machten sich oft schwer, hingen tief. Die großen Fische fraßen die kleinen und ließen Menschen und Boote wie Fliegen erscheinen.

Manchmal sah es beinahe so aus, als könne man von den Wolken gestreift werden und dennoch fühlte ich mich nicht bedrückt, fühlt sich hier wohl niemand davon bedrückt. Denn es bleibt ja die Weite, die alles relativiert und daran wiederum ist das Meer nicht ganz unschuldig. Zumindest die Landschaft dieser Region ist nicht eng. Die Menschen aber, obgleich Fischer (aber/oder auch Bauern, Meeresbauern) sind Sturköpfe. Das Neue mögen sie nicht sehr. Vielleicht halten sie sich deshalb so am Meer fest und beziehen den Himmel nicht mit ein.

Auf einem einsamen Zöllnerpfad wurde ich Zeugin, wie ein Himmelsauge sich einem winzigen Inselchen zuwandte, bedrohlich.

In der Nähe glitt ein pfeilspitzes Blumenkohlpudelschaf über den Horizont, unaufhaltsam.

Sollte ich weitergehen, ohne Regenjacke?

Oder doch lieber umkehren?

Sind Hafenorte nicht sicherer als rutschige Zöllnerpfade? Doch auch Paimpol wurde gerade drohend verdunkelt.

Die alten Rauhbeine, die von der Fassade einer Hafenkneipe herunterschauen, waren sicher wetterfest!

Am Abend zeigte sich der Himmel wieder versöhnlich.

Und am nächsten Nachmittag boten Terre, Mer und Ciel wieder das schönste gemeinsame Glitzerschauspiel.

Wie wichtig der Himmel auch den Bretonen im Grunde selbst ist, zeigt sich zumindest an der Ausschmückung der kleinen wunderschönen Kapelle Notre Dame de Penmern, die ich am Wegesrand fand und die mit zahlreichen Booten dekoriert ist. Der hölzerne Sternenhimmel ist nicht nur religiöses Symbol, sondern er zeigt den Seefahrern, ob christlich oder nicht, auch das künftige Wetter an.

Diese Ferien mit den rastlosen Wolken haben mich unruhig gemacht, selbst das Meer konnte mich nicht besänftigen. Die Unruhe nahm ich mit nach Hause. Am Morgen des siebten Tages nach der Heimkehr wusste ich es: Meine Zeit in Freiburg ist nur eine Zwischenstation, ich bin hier nur auf der Durchreise. Die Berge, die schwarzen Tannen, wir passen auf Dauer einfach nicht zusammen. Ich habe mich geirrt. Es ist mir zu eng, ich brauche mehr Weite, räumlich und mental. Seitdem ist ein Jahr vergangen und ich bin immer noch gespannt, wohin es mich als Nächstes ziehen wird und wann. Mit den Wolken.

Der bretonische Himmel ist mitschuldig daran. Danke, merci, huibren, danke auch dem Wind, avel, der Klarheit geschaffen hat.

Trugarez, Breizh, merci.


Territoires

Territoires
libérés
désancrés
illettrés
balancez
vous comme des îles
sur
un océan bleu d’argile

seul un
poisson a gravé
son inutile nostalgie

(Yann Venner, Extrait de “Le parfum de la lune”)

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5 Antworten zu Der bretonische Himmel

  1. haushundhirschblog schreibt:

    Vielen Dank für den schönen Artikel und die Fotos, die alles wieder in die Erinnerung zurückholten. Klasse.

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  2. rotewelt schreibt:

    Merci! Auch ein Bretagne-Liebhaber…?

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  3. Lakritze schreibt:

    Ooooh … Das ist für mich fast schon vorgeschichtlich, aber ein Blick auf die Bilder, und ich rieche das Meer. Ich glaube, da muß ich noch mal hin.

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  4. rotewelt schreibt:

    Ich war auch lange nicht dort gewesen, aber leider hatte ich die letzten beiden Male immer Pech mit dem Wetter: Das Meer war im Juli viel zu kühl zum Baden und die Luft meist nur um die 18 Grad… Schade, ich liebe die Landschaft!

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  5. rotewelt schreibt:

    Ich sehe gerade in diesem Moment, dass ALLE Fotos weg sind, auch in anderen Artikeln. Nun ist es also wohl geschehen… und alle Fotos der Artikel, die ich auf Qype hochgeladen und dann in WordPress kopiert hatte, wurden gelöscht… und damit auch hier… 😦

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