El Port de la Selva

Von Cadaqués aus schlängelt sich eine durchgehend serpentinenreiche Straße 13 Kilometer weit durch ein Naturschutzgebiet, den Parc Natural del Cap de Creus* mit dem 672 Meter hohen Sant Salvador Saverdera. Da außer mir niemand unterwegs ist an diesem Januartag, muss ich nicht durch die Kurven jagen, sondern kann mir Zeit nehmen und die Blicke schweifen lassen. Lang und fast bedrohlich wirken die Schatten der Berge, denn noch steht die Sonne tief, auch mittags.

Irgendwann geht es wieder bergab Richtung Meeresniveau. Hier wird die Landschaft lieblicher, Olivenhaine säumen den Weg. Im 19. Jahrhundert erlebte El Port de la Selva seine erste wirtschaftliche Blüte durch den Anbau von Oliven und auch Wein. Leider hat die Reblaus die Weinstöcke vernichtet.

Der kleine Küstenort liegt in einer Bucht und empfängt mich mit seinem leichten Halbrund. Durch die dahinter liegenden Berge des Naturschutzparks wirkt er geschützt. Und in der Tat halten die Anhöhen etwas von den rauen Nordwinden ab.

Die Bucht ist sehr beliebt bei Surfern, oder, um in deren Sprache zu sprechen, ein idealer Surfspot wegen der idealen Windverhältnisse. Die besten Voraussetzungen werden geboten, wenn der Tramontana bläst; „fahrbar“ ist es in Surfersprache, wenn Tramontana und Mistral gemeinsam wehen. Manche wagen sich sogar im Januar auf’s Brett, aber zum Glück gibt es Ganzkörperneoprenanzüge!

Auch ein Kind geht mit dem Wind – oder stemmt sich dagegen. Hoffentlich fliegt der Junge nicht davon! Von der Sonne geblendet, fühle ich mich wie im Frühling, als ich aus dem Auto steige. Doch der heftige Wind, der mich überrascht, ist schneidend kalt und schnell ziehe ich die Jacke an und den Reißverschluss hoch bis unters Kinn, bevor es mich auf den Steg zieht.

El Port de la Selva lebte früher nicht nur von Oliven und Wein, sondern auch seit jeher von der Fischerei. Und obwohl heute der Tourismus eine wichtige Rolle spielt und sich ein paar Yachten im Hafen tummeln, wurden die Fischer nicht verdrängt.

Im Gegenteil, ihre Boote dominieren noch heute den Ort, auch wenn sich zur Saison die Touristen darunter mischen werden. Von den Fischern jedoch keine Spur – na ja, gerade ist Essenszeit und die ist den Südländern heilig. Ja, man darf sagen, dass es sich noch immer um ein richtiges Fischerdorf handelt; schließlich gehört der Fischereihafen zu den wichtigsten der Provinz Girona.

So gehen die Fischernetze und die bunten Dekorationen der Vergnügungsboote – im Hintergrund die kahlen kantigen Pyrenäen – eine wunderbare und farbenprächtige Allianz ein.

Beides darf nebeneinander existieren. Überhaupt strahlt der Hafenort Heiterkeit aus, sicher verstärkt durch das Licht dieses Tages, das die Farben so intensiv leuchten lässt.

Noch ein Blick vom Wasser aus, dann bummele ich durch den Ort. Ob das Dorf deshalb „Wald- oder Wildnishafen“ (la selva) heißt, weil sich dahinter nur wilde Natur, Wald und Berge befinden?

Platanen mit winterlich gestutzten Ästen scheinen aus den Fischerbooten zu ragen, die geduldig in der Sonne darauf warten, von der Leine gelassen und ausgeführt zu werden. Sicher sitzen ihre Herrchen, die Fischer, jetzt mit ihren Frauen in ihren weißen Häusern am Küchentisch mit Wachstuchdecke, vor gut gefüllten Tellern. Ein deftiger Fischeintopf wird serviert, dazu Brot, Wasser und ein einfacher Landwein aus einem stiellosen dickwandigen Glas – gar nicht stillos.

Boote, Bäume, Häuser – ein bizarres Bild. Alles dicht beieinander, und direkt dahinter steht auch die Dorfkirche, die Església de la Mare de Déu de les Neus. Sie wurde zwischen 1722 und 1741 erbaut.

El Port de la Selva hatte Anfang Januar 2011 nur 1009 Einwohner, aber wer weiß, vielleicht gibt es inzwischen Neuzugänge, kleine stolze Katalanen, die vielleicht das Metier ihrer Väter weiterführen werden? Oder ein alter Fischer wurde zu Grabe getragen… Der Pfarrer dieser Dorfkirche muss aber sicher nicht allzu viele Feierlichkeiten ausrichten.

Anfangs bestand El Port de la Selva nur aus wenigen Hütten, in denen die Fischer ihre Geräte aufbewahrten. Zunächst gehörte der Fischereihafen noch zum Ort La Selva del Mar etwas landeinwärts, bis er 1787 durch Dekret des Königs Carlos III unabhängig wurde.

Leider wurde auch dieser hübsche Hafenort nicht vom Spanischen Bürgerkrieg verschont, der von Juli 1936 bis April 1939 stattfand und an dessen Ende leider die lange Franco-Ära begann. 70 Prozent von El Port de la Selva waren zerstört. So finden sich nicht so viele alte Häuser wie etwa in Cadaqués, doch hat der Ort auch nach dem Wiederaufbau ein menschliches Antlitz behalten und auch heute prägen relativ kleinere weiße Häuser das Bild. Selbst als die Tourismus in den 60er-Jahren das Dorf entdeckte – damals gab es erst 800 Einwohner – verzichtete man auf hässliche Hochhäuser, die an anderen Stellen die Costa Brava verunstalten.

Dennoch ist nicht alles nur schön: Die Straßen sind nicht nur fast ausgestorben, weil Mittagszeit ist, sondern auch, weil viele Wohnungen in Ferienunterkünfte umgewandelt wurden und im Winter leerstehen. Sicher hat so mancher Fischer seine alte Arbeit aufgegeben und ist vermietet nun an Urlaubsgäste – was aber ja auch keine schlechte Alternative ist.

Wie auch immer: Hier lässt es sich noch atmen.

Außer dem Bootshafen gibt es einen ziemlich großen Strand, an dem, wie ich las, auch in der Hochsaison jeder genügend Platz finden soll.
Ich verzichte darauf, die Stufen in die Bucht hinabzusteigen, denn inzwischen bin ich komplett durchgefroren. Es ist der Wind, sicher der Tramontana, den ich als noch schneidender empfinde als den Mistral.

Deshalb kraxele ich auch nicht auf den Hügel, der sich hinter den letzten Häusern, dort, wo die Straße endet, steil erhebt, begrünt von Kakteen und verschiedenen windschiefen mediterranen Baumarten, die sich in den steinig-trockenen Boden krallen können.

Die Boote warten immer noch, doch ich mache mich wieder auf über die Berge, zu meinem Zuhause für vier Tage. Und obwohl El Port de la Selva bunter und heiterer wirkt, bin ich froh, Cadaqués als Domizil gewählt zu haben, denn bei den sehr alten Häusern und steilen Gassen und in der lieblicheren Landschaft ringsum fühle ich mich doch noch wohler.

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Abschweifender Epilog:

Vor meinem Ausflug nach El Port de la Selva hatte ich mit dem Gedanken gespielt, von hier aus noch weiterzufahren Richtung Norden, über Llança und Portbou nach Cerbère.
In Cerbère, auf dem Grenzbahnhof zu Frankreich, war ich mit meinem damaligen Freund – ich war 18 oder 19 – während einer vierwöchigen Interrailreise quer durch Europa gelandet, nach einer kleinen Odyssee von Malaga/Andalusien aus. Es fing damit an, dass der Zug in Barcelona erst mit zweistündiger Verspätung losfuhr – ohne dass eine Verspätung, geschweige denn deren Dauer, durchgesagt worden war. Dadurch bekamen wir in Girona nicht mehr den richtigen Anschlusszug. Alle Hotels waren belegt und der Bahnhof mit den wunderschön bequemen Sofas im Warteraum machte über Nacht dicht. So schliefen wir, nach einer „durchsessenen“ Nacht im Achterzugabteil, nun vor der Bahnhofstür, die Köpfe schützend auf dem Gepäck, in unbequemer Haltung. Kurz bevor wir uns schlafen legten (das heißt, hauptsächlich schlief mein Freund, der konnte im Zug sogar im Stehen schlafen, im Gang an ein Fenster gelehnt – wie habe ich ihn beneidet), hatten wir nämlich einen Frankfurter Interrailer getroffen, der uns erzählte, er habe am Strand geschlafen und sei ausgeraubt worden. Ob es stimmte, weiß ich nicht, jedenfalls spendierten wir ihm im Café ein Getränk. Selbst tranken wir Kakao, wie auch in Paris und Rom. Wir hatten nämlich festgestellt, dass Kakao lange sattmacht und uns vorgenommen, mit unseren paar Kröten unbedingt die vier Wochen voll auszunutzen (was uns auch gelang, am letzten Tag, in Paris, mit trockenem Baguette). Nur in Madrid war es mir aus Versehen passiert, dass ich mittags ein Glas Sherry trank statt Wein (was ich damals selten tat, zumal ich auch nur ein paar Tropfen vertrug), dazu gab’s nur ein paar Oliven. Danach torkelte ich durch die teuflische Madrider Julihitze und die U-Bahn von einem Bahnhof zum anderen.
Aber zurück nach Girona: Hier harrten wir also draußen aus, bis am frühen Morgen das erste Café öffnete. Dann ging es endlich weiter nach Cerbère, wo wir mehrere Stunden Aufenthalt hatten, bis wir einen Zug in Richtung Marseille nehmen konnten. In Cerbère, diesem Niemandsland-Durchgangsort, so empfanden wir es, spazierten wir ein wenig an der Steilküste entlang und hielten die Füße ins Wasser. Es wäre interessant zu sehen, wie es dort heute aussieht. Aber erstens habe ich schon genug Eindrücke gesammelt für heute in Port de la Selva und auf der Fahrt durch die Berge, zweitens müsste ich unter anderem über Colera fahren, lach, und drittens wäre es mir zu anstrengend, denn ich müsste ja noch zurück bis Cadaqués…

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13 Antworten zu El Port de la Selva

  1. Uffnik schreibt:

    Schon beim ersten „runterscrolen macht mich das völlig kirre. Konzentration auf Arbeit kann ich nun vergessen. Dafür mache ich bevorzugt einen Ausflug nach El Port de la Selva.
    Tschühüssss…….

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  2. rotewelt schreibt:

    OOOH, entschuldige, Uffnik… ;-)))

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  3. erinnye schreibt:

    Man möchte sofort auch da hinreisen. Wunderbare Text-Bild-Kombination.

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  4. wassily schreibt:

    Collioure an der Cote Vermeille, etwas nördlich vom Grenzbahnhof, ist schon ein hübscher Flecken, zumindest außerhalb der Ferienzeit. Besonders die Geschichte des Hotels Les Templiers ist bemerkenswert.

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  5. rotewelt schreibt:

    Dankeschön!

    Collioure kenne ich auch, wassily, der Ort ist wirklich hübsch. Sprichst du die Künstler an, die im Hotel Les Templiers gewohnt und mit ihren Bildern bezahlt haben? Leider kann man sie ja nicht sehen, anders als in der Colombe d’Or in Saint-Paul-de-Vence.

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    • wassily schreibt:

      Ich konnte mich bei meinem letzten Besuch vor fünf, sechs Jahren gar nicht satt genug an den Bildern in der Bar, im Treppenhaus und im Restaurant sehen. Ob das noch Originale waren oder aus Versicherungsgründen Replikate… ? Keine Ahnung!

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  6. rotewelt schreibt:

    Wenn man das wüsste…, angeblich sind es ja die Originale…

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  7. Ilse schreibt:

    Sehr Schön! Ich lebe solche Aussichten. Bin auch gerade hin und weg!! So ich träum dann mal eine Ruinde beim Frühstück 😀

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  8. Ilse schreibt:

    Seht ihr! Ich muss mir die Bilder schon wieder anschauen! Denke schon den ganzen Tag an die Landschaft und Urlaub. Schönen danke auch 😉

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  9. rotewelt schreibt:

    Bitteschön! 🙂

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