Le Cimetière de Montmartre

Schön versteckt liegt er, der Friedhof von Montmartre. Er ist lauschiger als der rechtwinklig und eben-erdig angelegte Cimetière de Montparnasse und viel kleiner und stiller als Père Lachaise – dennoch der drittgrößte Friedhof der Pariser Innenstadt.

Hierher verirren sich nur wenige Touristen, ausgeprägte Liebhaber alter Friedhöfe oder solche, die ein bestimmtes Grab suchen…

… wie das deutsche Paar in Shorts und Birkenstocksandalen, das Heinrich Heine liebt und einen Blick auf dessen letzte Ruhestätte wirft.

Ahnung

Oben, wo die Sterne glühen,
Müssen uns die Freuden blühen,
Die uns unten sind versagt;
In des Todes kalten Armen
Kann das Leben erst erwarmen,
Und das Licht der Nacht enttagt.

(Heinrich Heine)

Jetzt glühen nicht die Sterne, sondern es brennt die ungewöhnlich heiße Maisonne.

Der Spätfrühling hat bereits seine Blüten fallen lassen.

Zum Glück werfen die Bäume, die Grabhäuser und -steine vormittägliche Schatten…

…und zur Not kann man in manchen Häuschen Schutz suchen und bei der Gelegenheit deren kunstvoll gestaltete Fenster bewundern.

Außer Heine liegt hier noch mehr Prominenz begraben, hier hat auch Honoré de Balzac seine letzten Illusionen verloren –wie viele andere. Hier ruhen zum Beispiel…
• die Schriftsteller Emile Zola, Stendhal, Alexandre Dumas und Théophile Gautier
• die Maler Jean-Honoré Fragonard, Gustave Moreau, Edgar Degas, Jean-Bapatiste
Greuze und Francis Picabia
• die Komponisten Hector Berlioz und Jacques Offenbach
• die Salondame Julie Récamier
• der Regisseur François Truffaut, der Schauspieler und Regisseur Jean-Claude
Brialy sowie der Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Sacha Guitry
• der Tänzer und Choreograf Vaslav Nijinsky
• die Sängerin Dalida, der Sänger und Komponist Michel Berger
• der Mathematiker und Physiker André Marie Ampère und Physiker Léon Foucault.

Angesichts des Todes endet aller Streit.
(Émile Zola)

Vaslav Nijinsky – er tanzt nicht mehr… Wie ein nachdenklicher Narr hockt er dort…

Die meisten Besucher hat Dalida… Die Sängerin ist ganz oben bestattet, ganz in Weiß steht sie da, erhaben, als Nachbildung. Mir gefällt das Grab nicht, es passt nicht zu ihr – zu kühl, zu monumental.

Eines meiner Lieblingschansons von ihr (das noch schönere Original ist von Léo Ferré):

Nicht alle Gräber, die wir suchen, finden wir, obwohl wir die „Adressen“ haben…, seltsam, einige verstecken sich vor uns. Das macht aber nichts, denn die Grabsteine der Prominenz sind nicht unbedingt die schönsten.

Viel mehr Spaß macht es, einfach die Augen ziellos schweifen zu lassen und selbst Entdeckungen zu machen.

Rein „zufällig“ und auf Nebenwegen findet man oft die schönsten Figuren, Details und Perspektiven. So ist es ja eigentlich oft, im Leben…

Und man erhält interessante zauberhafte Ein- und Durchblicke.

Die Spinnen schaffen es nicht, die Öffnungen zuzuweben, nicht einmal hier.

Au cimetière
Les chimères
Se présentent
Volontière-
Ment
Dans l’ombre
Ça sent
L’Absence
Le Froid
Le chagrin
Mais
Parfois
Un rayon
Un brin
Serain
Un clin
D’œil
Du soleil
Se mèle
Frêle,
Au deuil,
Dedans.

Sie hier ist allein, in Trauer. Spürt sie die Wärme der Sonne?

Auf diesem Friedhof geht es trotz der medidativen Ruhe sehr lebendig zu, auch wenn sich gerade kein Mensch dort blicken lässt:

Zahlreiche Katzen haben dort Zuflucht gefunden. Liebe Menschen bringen ihnen regelmäßig Futter und die Tiere werden sterilisiert und tätowiert, wie ich las, damit sie als „chats libres“, als freie Katzen dort leben können. Ich glaube, es gefällt ihnen hier, es gibt genügend stille Winkel, in die sie sich zurückziehen können, zwischen losen Grabplatten, im weichen Moos.

Eigentlich heißt der Cimetière de Montmartre, der im 18. Arrondissement liegt, offiziell Cimetière du Nord. Er wurde 1825 „eröffnet“, ist elf Hektar groß und hat Platz für 20.000 Gräber. Auf dem Gelände befand sich im 17. Jahrhundert ein Gipssteinbruch. Tote wurden hier jedoch schon beerdigt, bevor der Friedhof entstand: Als kein Gips mehr angebaut wurde, dienten die Steinbrüche als Massengrab für die Opfer der Französischen Revolution 1792.

Heute ist der Cimetière immer noch „lebendig“, jedes Jahr werden dort 500 Menschen beerdigt.

Nachdem wir in fast allen Ecken und Winkeln waren, das hügelige Gelände treppauf und treppab durchstreift haben, tun mir die Füße weh, ohnehin bereits vom Pariser Pflaster geschunden und mit Pflastern „geschmückt“. Ich muss mich setzen, verschnaufen, zur Abwechslung mal nach oben blicken ins Himmelblau und Blattgrün, will in Ruhe die vielen schönen Bilder nachwirken lassen. Während meine Begleitung weiter unermüdlich nach noch nicht aufgespürten Gräbern sucht, lasse ich mich auf der erstbesten Bank im Schatten nieder. Ein älterer Herr gesellt sich zu mir und bald sind wir in ein friedhöfliches Gespräch vertieft: Hauptthema „Friedhöfe“, was sonst. Er fragt mich, ob er mir etwas zeigen könne, ob ich bestimmte Gräber suche. Dann stellt sich heraus, dass es sich der Mann nach seiner Pensionierung zum Hobby gemacht hat, Friedhofsführungen anzubieten, für Einzelne und für Gruppen, je nach Belieben. Er kennt die Cimetières von Montmartre, Pére Lachaise und auch den von Passy (den ich noch nicht kenne) auswendig, wie es scheint. Glühende Begeisterung spricht aus seinen Worten. Er entlässt mich nur ungern, als ich zum Weitergehen abgeholt werde, quasi losgeeist. Auf Friedhöfen kommt man immer mit Menschen ins Gespräch, besonders in Paris.

Wer dem Trubel in Montmartre entfliehen will und sich nach einem friedlichen Plätzchen sehnt, der kann auf dem Cimetière de Montmartre – zwischen all den Toten – seine Lebensgeister wieder erwecken lassen.

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25 Antworten zu Le Cimetière de Montmartre

  1. kormoranflug schreibt:

    Wer weiss wen man Nachts dort trifft und ob sich die Gespräche lohnen.

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  2. cablee schreibt:

    Nee, rotewelt – sich auf dem Friedhof einsperren lassen ? Ich würde mich ja wohl zu Tode gruseln… 😉

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  3. haushundhirschblog schreibt:

    Liebe rotwelt,
    sicher haben wir hier schon erwähnt, wie gerne wir alte Friedhöfe anschauen, aber dieser hier ist natürlich besonders, u.a. auch wegen seiner vielen prominenten Verstorbenen, die, ähnlich wie es vermutlich beim Wiener Zentralfriedhof ist, auch interessante und interessierte Besucher anlocken. Deine Fotos verbinden diese morbide Schönheit mancher Gräber sehr gut mit den lebendigen Anteilen und Spuren, die sich hier finden lassen.
    Und: wenn dm dabei wäre, würde ich gerne einmal eine Vollmondnacht auf diesem Friedhof verbringen … … natürlich nur als Besucherin!
    Liebe Grüße,
    mb

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    • rotewelt schreibt:

      Ja, liebe mb, ihr hattest das schon erwähnt an anderer Stelle. Dann hast du ja nun ein Reiseziel…, sucht euch eine warme Vollmondnacht aus, damit ihr nicht frieren müsst! 🙂 Den Wiener Zentralfriedhof möchte ich auch mal sehen, er fasziniert mich spätestens seit ich das Lied von Ambros gehört habe. Und überhaupt das wienerisch Morbide… Liebe Grüße nach Hessen, Rotewelt

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  4. Sofasophia schreibt:

    ich liebe friedhöfe auch sehr. sie trösten mich, sie machen mich traurig, sie verzaubern mich, sie überzeugen mich davon, dass alles ewig, dass alles vergänglich ist.
    dein text ist darum genau das richtige für mich. auch die bilder. und dein text ist so schön ergänzend. falls ich mal in paris sein sollte, will ich da unbedingt hin.

    das mit den katzen finde ich ganz besonders schön. dass sie da einfach wild leben gelassen werden! toll.

    danke!!!

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  5. Anne Faucher schreibt:

    Magnifique reportage, j’adore et j’ai aussi reconnu le chat !

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  6. Ulli schreibt:

    liebe Rotewelt, ich freue mich sehr die Bilder nun auch noch anschauen zu dürfen, danke dir für die Links von heute, darf ich mir den „Narren“ klauen, der wäre noch fein für meinen Herbstzyklus, natürlich wirdst du als Urheberin genannt!

    danke für Inspiration und eine feine Weile
    Ulli

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  7. Pingback: erhellte Nächte in der kleinen Stadt |

  8. Utasflow schreibt:

    Danke fürs Mitnehmen beim Schlendern über den Friedhof. In Deutschland gibt es eine Friedhofsapp, die Wissenswertes zu Grabstätten auf berühmten Friedhöfen in Berlin, Hamburg etc. berichtet. Wenn man mal unterwegs ist, kann man sich zeithnah informieren.

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    • rotewelt schreibt:

      Danke dir für’s Vorbeischauen! So, eine Friedhofs-App gibt es sogar schon? Isch abe noch gar keine App…, lach, bin in dieser Hinsicht etwas hinter der Zeit. Wir hatten einfach einen ausgedruckten Plan mitgenommen und bis auf ein paar Gräber, die ich gern sehen wollte, wollte ich den Friedhof auch einfach auf mich zukommen lassen, ich streune gern ziellos umher. Und wie so oft, nein meistens auf solchen Streifzügen, fand ich auch hier das Unbekannte schöner als das Bekannte.

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      • Utasflow schreibt:

        Ich lebe noch gut ohne smartphone. Aber wenn ich mal eins besitzen sollte, dann lade ich mir diese app. Sie ist konzipiert für Menschen, die sich auf Friedhöfen bewegen und dann mal zufällig vor einem Grab stehen, über dessen Person und Geschichte sie mehr erfahren mögen (auch die unbekannterer Personen).
        Liebe Grüsse – Uta

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        • rotewelt schreibt:

          Ich bin wirklich erstaunt, was es inzwischen alles gibt, auch für nichtkommerzielle Zwecke – eigentlich eine praktische Sache, auch wenn ich Sie nicht nutze. Ob später mal? Weiß nicht, nutze schon mein Handy selten, will mich auch der ständigen Erreichbarkeit entziehen, auch fahre ich noch ohne Navi überall hin, lach.
          Lieben Gruß zurück von Ute an Uta. 🙂

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  9. Jürgen EHRE schreibt:

    N’est-ce pas un lieu de paix… que l’on recherche toute sa vie, sans la trouver parfois ? N’avons-nous pas raison de rendre hommage à nos chers disparus, de nous recueillir devant leur mémoire, de nous souvenir de toute leur affection qu’ils nous ont laissé , richesse si précieuse pour « notre » avenir… nous rappelant par leur présence que nous ne sommes pas seuls… et qu’ils veillent sur nous, et de tout cœur… alors, nous ornons leurs tombes de fleurs pour leur en remercier… Magnifiques images de ce lieu de paix qui enrichissent nos souvenirs ineffables!

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  10. Peter Witzig schreibt:

    Diese Art von Friedhof gibt es in Deutschland nicht eines der schönsten Grabstätten war das von Dalida.

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    • rotewelt schreibt:

      Ja, solche Friedhöfe gibt es hierzulande nicht, diese alten französischen haben ihren ganz besonderen Reiz. Das Grab von Dalida ist wohl dort am meisten besucht, mir selbst gefiel es nicht so gut, da es so „modern“ und kühl ist, aber das ist ja Geschmackssache. Danke dir fürs Vorbeischauen und den Kommentar!

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