Die alten Pariser Passagen haben für mich etwas Magisches. Ich stelle mir vor, wie die Menschen früher hindurchflaniert sind, die Damen mit weiten langen Röcken, die Herren im Frack, beide gut behütet.
Diesmal geht es in die Galerie Véro-Dodat im 1. Arrondissement. Die nächste Metrostation heißt Palais Royal – Musée du Louvre und beides ist in der Tat nicht weit entfernt.
Vorm Betreten der Galerie bin ich erst einmal abgelenkt von einem Schaufenster mit skurriler Dekoration auf der anderen Straßenseite.
Anschließend kommt noch eine hübsche Pariserin ins Bild. Ihre weinroten Stiefeletten bilden quasi den Übergang zur Passage.
Darin, gleich an der Ecke, befindet sich nämlich ein Schuhgeschäft und zwar nicht irgendeins, sondern eines des bekannten Schuh- und Taschendesigners Christian Louboutin. Das ist der, der die hochhackigen Schuhe mit der roten Sohle macht.
Interessant und kreativ gestaltet sind die Schaufenster der Edelboutique, Alt und Neu verbinden sich vortrefflich. Manchmal weiß man gar nicht, was Spieglung ist und was nur vorgetäuscht…
…oder was innen und außen, vorn und hinten.
Der Laden zieht alle Frauen magisch an, die sich neugierig die Nasen an den Scheiben plattdrücken. Doch da ist ja noch die Passage selbst, die es zu entdecken gilt. Zum Beispiel lohnt es sich, den Blick zu heben: Oben wechseln sich Stuckdecken mit Malereien und drei Glasdächern ab.
Die Ladengalerie wurde 1826 errichtet – von zwei Metzgern mit eigenen Geschäften! Der eine, Benoît Véro, hatte an der Börse mit Immobilien spekuliert und war damit reich geworden. Die Lage der Galerie zwischen den Markthallen und dem Palais Royal war gut gewählt. Außerdem befand sich in der Nähe die Endhaltestelle aller Postkutschen des Landes, so dass der Passage großer Erfolg beschieden war.
Bevor hier die Passage gebaut wurde, ließ Véro das damalige Hôtel de Quatremère aus dem 18. Jahrhundert abreißen – ein Haus mit grausiger Geschichte. Der Eigentümer, Antoine de Dreux d’Aubay, war mit seinen beiden Söhnen von der eigenen Tochter, der Marquise de Brinvilliers, vergiftet worden. Die Marquise wurde 1676 hingerichtet.
Vielleicht hat die Geschichte ja noch einen ungünstigen Einfluss auf die Galerie…
1955 beging der französische Schriftsteller Gérard de Nerval (eigentlich Gérard Labrunie) dort Selbstmord. Er galt als Vertreter der Romantik. Mit seinem Prosawerk „Aurélia“ faszinierte er später Baudelaire und die Surrealisten. Nerval litt an Wahnvorstellungen und erhängte sich in der Passage, als er nach einem wiederholten Klinikaufenthalt ohne feste Bleibe war und kaum noch Honorare einnahm.
Die Passage wurde im neoklassizistischen Stil erbaut. 1965 wurde sie in die Liste der monuments historiques aufgenommen und von 1980 bis 1997 vollständig restauriert. So hat sie einen Großteil ihres alten Aussehens bewahren können.
Mit 80 Metern Länge ist die Galerie relativ kurz; die Breite beträgt vier Meter. Das italienische Bodenmosaik ist aus Marmor in Schwarzweiß gestaltet und soll durch die diagonale Verlegung der Fliesen die Illusion von Tiefe vermittel, dadurch verstärkt, dass die Decke im Vergleich zu manchen anderen Passagen relativ niedrig ist. Die halbmondförmige Fenster der Seitenwände verbinden sich mit dunklem Holz, Säulen, falschem Stuckmarmor, Messingverkleidungen und Säulen zu einem einheitlichen Gesamtbild.
Über den Geschäften erstrecken sich Wohnungen. Die Galerie Véro-Dodat gehört übrigens zu den ersten Plätzen in Paris, die eine Gasbeleuchtung hatten.
In der Galerie schwebt noch heute ein Hauch von Luxus. Es gibt mehrere Antiquitätenhändler, einen Kunstverlag, aber zum Beispiel auch ein altes Musikgeschäft. Dennoch oder deswegen stehen einige Geschäfte leer. Es heißt, die Besitzer wechselten schnell.
Und wieder Spiegelungen, die verwirren; die Ebenen vermischen sich, beinahe surreal.
Zwischen den Säulen ein Durchblick mit Anblick, hinter den Scheiben blendendes Licht und eine Wendeltreppe, die fast an Escher erinnert, auf den Scheiben schlägt „Die Stunde Null“ noch einmal. Ein Theaterstück…
1836 hat in dieser Passage, Hausnummer 23, Rachel gelebt, auch Mademoiselle Rachel genannt. Die französisch-jüdische Schauspielerin wurde am 21. Februar 1821 in der Schweiz geboren, sie starb 1858 in Südfrankreich. Rachel, eigentlich Élisa Rachel Félix oder Elizabeth-Rachel Félix, galt als eine der größten Tragödinnen ihrer Zeit.
(Bildquelle: Wikipedia, Porträt von Rachel, gemalt von William Etty, circa 1840)
1838 debütierte sie an der berühmten Comédie Française. Ihre brillante Interpretation der Camille in Pierre Corneilles Tragödie „Horace“ machte sie über Nacht zum neuen Star am Pariser Theaterhimmel. Rachel spielte vor allem in Stücken von Corneille und von Jean Racine. Die selbstbewusste Frau soll privat ein sehr turbulentes Leben geführt haben und hatte zahlreiche Liebschaften. Verheiratet war sie nie, doch sie hatte zwei Söhne, einen von Napoléon Bonapartes unehelichem Sohn Alexandre Colona-Walewski. Als Walewski ihre Promiskutität kritisierte, schrieb sie ihm sie: „Ich bin, so wie ich bin: ich liebe die Mieter, aber nicht die Hausbesitzer.“
Rachel war ein Schmetterling, oder ein bunter Vogel, un oiseau. Andere Frauen ihrer Zeit – wie zu allen Zeiten – boten ihre Dienste gegen Geld an. Ein Plakat in der Passage weist auf eine Ausstellung hin: „Décor de Bordels“, die bestimmt interessant anzuschauen war. Weitere Blicke hinter Schlüssellöcher, peepshow-(un)artig zeigt ein Schaufenster der Galerie.
Ich bekomme Assoziationen an römische Gelage, dabei zeigen die Deckenmalereien lediglich einige Götter, hier Merkur. Auch Apollo und Minerva wurden hier verewigt, außerdem Putten und Landschaften.
Aber es gibt durchaus etwas zu essen in der Galerie, ein Restaurant in der Mitte sowie das Café de l’Epoque an einem der beiden Eingänge. Dort saß auch Nerval gern, als er sich den Besuch noch leisten konnte.
Ein schöner Spaziergang in die Pariser Vergangenheit – auch wenn die Galerie ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat, unter anderem weil 1880 die Postkutschenstation verschwand und von der Eisenbahn verdrängt wurde.
Beim Antiquitätenhändler Robert Capia, der sich auf antike Puppen spezialisiert hat, hängt immer noch ein Schild, das schon unter Charles X dort war, mit der Vorschrift „ni chien, ni phonographe, ni perroquet“ (weder Hunde noch Phonographen noch Papageien).
Noch ein letzter Blick auf die wunderbare Konstruktion, bevor wir weitergehen, zur Galerie Vivienne…
Paris pas sage
Tes galeries
Et passages
Sont pleins de magie
Garnis de mélancolie
Se mirant dans nos vies.
De mes passages
Pleins de plaisirs
Aux passages
Et ailleurs
Demeurent
De merveilleux souvenirs
Sans le moindre nuage.
ein wunderschöner Bericht über diese Galerie ! ..übermittelt ein Gefühl, als würde man selbst darin bummeln…
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Merci, freut mich, dass du mitgebummelt bist!
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Statt Klick: Gefällt mir sehr! Die Nerval-Geschichte muß ich gleich nachlesen …
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Ich bin nun selbst auch neugierig geworden, denn ich hatte Nerval bislang nicht gelesen. Dankeschön.
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Liebe Rotewelt, vielen Dank für’s mitnehmen in die Galerie, ein wirklich wunderschöner Bericht, interessant, lesenswert und sehenswert. Ich liebe die Atmosphäre in Paris, jetzt rückt das schöne Reiseziel weiter nach oben auf meine Liste. Ein schöne neue Woche ich dir.
Herzliche Grüße aus Norfolk, hier weht ein eisiger Wind aus dem Norden, huiiiii 🙂
Dina
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Thanks, liebe Dina und Grüße ins eisige Norfolk! Ja, die Atmosphäre in Paris liebe ich auch, sicher werde ich noch öfter hinfahren.
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ich liebe diese Spiegelungen und werde selbst nicht müde sie festzuhalten, dir ist dies in besonderer Weise total gut gelungen! Eine Freude ist es deinen Berciht zu lesen und dazu die Bilder anzuschauen und dabei etwas zu lernen … herzlichen Dank
liebe Grüße Ulli
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Ach, du bist auch ein Spiegelungs-Fan – ja, solche Motive sind faszinierend! Freut mich sehr, dass dir der Bericht gefallen hat, liebe Ulli!
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Wie schön! ich liebe diese Galerie! Muss noch irgendwo ein Foto haben, wo ich als Teenager auf der Treppe posiere. Verliebt in die Stadt und in das Leben.
Über die Geschichte wusste ich gar nichts. Vielen Dank für diesen informativen, schön geschriebenen und bebilderten Beitrag!
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Du kennst die Galerie von früher, schön! Nun würde ich natürlich gern das Foto aus der Teenagerzeit sehen! 😉 Merci beaucoup zurück.
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Wenn ich es wiederfinde, dann zeige ich es dir. Versprochen!
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Okay! 😉
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da liegt ja schauriges und schönes dicht beeinander…
wunderbare geschichte mit traumhaften fotos, rotewelt:-)
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Merci fürs Vorbeischauen und Mögen, frauhase! 🙂 Ja, Schauriges und Schönes zugleich gibt es von dort zu berichten.
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Sehr lebendig beschrieben, rotewelt! Ich fühlte mich gleich wieder mittendrin, obwohl es nun schon gut 2 Jahre her ist, dass ich zuletzt in einer Pariser Galerie war.
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Dank dir, cablee! Zwei Jahre sind ja nun keine lange Zeit, ich glaube, mein Besuch in dieser Passage war vor etwa einem Jahr.
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Immer wieder ein purer Genuss sind Deine Passagen-Texte und -Fotos!
Herzlichen Dank dafür,
mb und dm
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Herzlichen Dank zurück an euch Zwei, freut mich!
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Noch ein sehr schöner und interessanter Beitrag über die berühmten Passagen von Paris… ansprechende Fotos vermitteln Gegenwärtigkeit und pure Ästhetik… und die dazu gehörigen Texte lassen uns mehr über die Geschichte und die Geheimnisse der Galerie wissen… Eine fast schon wissenschaftliche Arbeit welche man mit Genuss liest und sich anschaut!
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Fast wissenschaftlich…? Oh! Lach, aber ich verstehe es insgesamt als Kompliment und freue mich, merci beaucoup! Ja, manchmal erfährt man auch erst nach einem Spaziergang mehr über den Ort, seine Geschichte und Geheimnisse – wie in diesem Fall erst, als ich darüber schrieb und ein wenig recherchierte.
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