Von village zu village: Le Thor

Nach Ménerbes, Chateauneuf de Gadagne und Goult springe ich nun weiter von einem Ort zum anderen und jeweils hindurch und stelle sie kurz vor. Alles spielt sich im Luberon ab, im Département Vaucluse – dort, wo die Autos eine 84 am Nummernschild haben (seit ein paar Jahren ja versteckter).

Auf Neudeutsch oder Denglisch würde es sicher „Dorfhopping“ heißen, was ich hier betreibe, denn „Inselhopping“ gibt es ja auch schon, aber was soll ich mit Anglizismen in Frankreich, was soll ich überhaupt mit allem, was nicht authentisch ist? Eben (pssst: Die Franzosen haben aber ja auch so ihre schlimmen Neuwortschöpfungen im hübschesten Franglais).

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Von Le Thor (eine meiner französischen Dozentinnen an der Uni hieß übrigens Thor mit Nachnamen), wo der Himmel immer blau war, hatte ich noch nie zuvor gehört und kam am ersten Abend meines Kurztrips im Süden auf der Suche nach dem nächstliegenden Supermarkt eher zufällig dorthin, fand auch einen, kaufte ein und machte bei Magenknurren wieder Bekanntschaft mit der extremer Langsamkeit und Lässigkeiten der ländlichen Südfranzosen beim Bezahlen und Einpacken an der Kasse, mit einem netten Herrn, der mich vorließ, weil ich nur sechs Teile hatte, einer alten Dame, die ein großes Paket gegen Blasenschwäche gegen drei kleinere einer anderen Marke umtauschen wollte und nebenbei noch ein paar Waren einkaufte und deretwegen die nette Kasserierin mich bat, sie vorzulassen, was ich auch tat. Französische Einkaufswagen sind tief und trotzdem an den Wochenenden immer mehr als randvoll gefüllt, die Dame hatte nicht viele Artikel und weil sie winzig war, fürchtete ich, sie würde beim Hinunterbeugen in den Wagen stürzen und wollte ihr helfen, doch sie schaffte es und nahm mich und ihre Umgebung sowieso kaum wahr, klaubte alles in Zeitlupe heraus und die Kasserierin, die sich auch vorbeugte, nahm ihr alles aus der Hand und legte es auf’s Band. Während ich meine Blicke schweifen ließ, stellte ich fest, dass ich an einer Kasse für Schwangere und Behinderte stand (die Franzosen haben in den großen Supermärkten alle möglichen Extrakassen, je nach Anzahl der Artikel, Bezahlvariante oder Disposition), und übte mich in grenzüberschreitender Geduld, weil die Carte bleue der Dame nicht funktionierte, ihr Bargeld im Portemonnaie nicht reichte und ihr nach einiger Ratlosigkeit doch noch das Scheckheft einfiel, das sie als rettende Möglichkeit aus der Tasche holte und das die Franzosen skurrilerweise immer noch besitzen und auch häufig verwenden, und so kam es, dass ich nach einer halben Stunde an die Reihe kam, nicht ohne mich etwas schuldbewusst gegenüber dem Mann zu fühlen, der mich vorgelassen hatte.

Am nächsten Tag  legte ich nochmal einen Stopp in Le Thor ein, auf dem Weg nach L’Isle-sur-la-Sorgue, um mir das Dorf näher anzuschauen,

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schritt durch das Tor von Le Thor und schnitt zu hohe Turmspitzen ab,

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fand die Tür zur Kirche verschlossen vor,

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wurde mein Blick überhaupt oft nach oben gerichtet und erzeugte schiefe Bilder,

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wunderte ich mich über die menschenleeren Gassen,

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über Briefkästen in den Fenstern und unbesetzte Bänke, doch es ging auf Mittag zu und Franzosen essen pünktlich, trotzdem drang kein Duft nach Knoblauch und Tomaten aus den Behausungen,

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dafür duftete die alte Stadtmauer nach den schon voll erblühten Rosen.

Le Thor liegt circa 20 km östlich von Avignon und 5 km westlich von L’Isle-sur-la-Sorgue. Der Ort hat 8.396 Einwohner und ist unspektakulär mit hübschen Ecken. Seine offiziellen Sehenswürdigkeiten sind das alte (von mir abgelichtete) Stadttor und die (wie gesagt geschlossene)  romanische Pfarrkirche Notre-Dame-du-Lac, die Ende des 12. Jahrhunderts errichtet wurde – bis auf den Turm, der aus Geldmangel erst Jahrhunderte später fertig wurde.

Der Dichter René Char, ganz in der Nähe, in L’Isle-sur-la-Sorgue geboren, über Le Thor:

Dans le sentier aux herbes engourdies où nous nous étonnions, enfants, que la nuit se risquât à passer, les guêpes n’allaient plus aux ronces et les oiseaux aux branches. L’air ouvrait aux hôtes de la matinée sa turbulente immensité. Ce n’étaient que filaments d’ailes, tentation de crier, voltige entre lumière et transparence. Le Thor s’exaltait sur la lyre de ses pierres. Le mont Ventoux, miroir des aigles, était en vue. Dans le sentier aux herbes engourdies, la chimère d’un âge perdu souriait à nos jeunes larmes. (Les loyaux adversaires, 1945, in: Fureur et mystère)

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9 Antworten zu Von village zu village: Le Thor

  1. Sofasophia schreibt:

    hach, du fütterst mich mit fernem wehen … 🙂
    danke!

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  2. traeumerleswelt schreibt:

    habe den Bericht vom Supermarkt mit einem Schmunzeln gelesen…auch hier im Elsass passieren dir solche Dinge immer wieder..die Menschen haben einfach die Ruhe weg 🙂

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    • rotewelt schreibt:

      Stimmt, überhaupt in ländlichen Gegenden, wobei ich wirklich finde, dass es im Süden am ausgeprägtesten ist, vor allem in der Provence. Im Grunde finde ich das ja angenehmer und entspannender als Hektik – vor allem, wenn ich genug Zeit habe. 🙂

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  3. vilmoskörte schreibt:

    Im Urlaub hat man ja viel Zeit, die man bequem in der Warteschlange verbringen kann 😉

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  4. zeilentiger schreibt:

    Supermarktschlangen bieten doch immer wieder mal Gelegenheit für Geschichten. Das ist ja auch irgendwie ein Vorteil, in der Schlange zu stehen: Man wird zum geduldigen Beobachten geradezu gezwungen. 😉 Auch schön: das Licht über dem Dorf. Ganz anders.

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