Um möglichen Assoziationen wegen des Titels gleich vorzubeugen: Ja, ich war in Schweden, aber ich habe keinen Surströmming gegessen, nicht mal gesehen geschweige denn gerochen.
Hätte mich nicht eine frühere gute „Bekannte“ (klingt irgendwie abwertend, da war doch mehr und ist noch/wieder), ursprünglich Kollegin einer Fortbildung und spätere Freundin einer Freundin, noch dazu dann Ex-Arbeitskollegin meines damaligen Mannes und Partnerin des Bruders der Freundin (sehr komplexe Vernetzung), mich nach 13 Jahren Stillschweigen nicht ermuntert, sie in Schweden zu besuchen, hätte ich sie und das Land sicher nicht wiedergesehen.
Dabei hatte ich keine schlechten Erinnerungen an sie und auch nicht an Schweden, im Gegenteil. Der erste und einzige Besuch im Land war nur schon lange her, genau 38 Jahre. Kaum zu glauben (den zweiten Versuch hatten wir schon auf der Hinfahrt wegen schlechten Wetters abgebrochen, tauschten schwedische Kronen in französische Francs und fuhren gen Süden). Damals waren wir zu viert – zwei Paare – im Urlaub in Südschweden, mieteten spontan vor Ort für wenig Geld so ein rotes Holzhaus mit weißer Umrandung und lebten gefühlt wie vor fünfzig Jahren. Kein Bad, sondern nur eine Küchenspüle fürs Waschen der Menschen- wie der geangelten Fischleiber, der gesammelten Beeren und des Geschirrs. Dazu gab’s über einen Feldweg hinweg an einem Schuppen ein Doppel-Plumpsklo, immerhin mit Wandbildern und anheimelnden Flickenteppichen. Ansonsten erinnerte ich mich an viel Wasser, viel Wald, viel Ruhe, viele Mücken, nicht essbares staubiges Brot in den Bäckereien und eingeschweißte Kötbulla aus dem Supermarkt. Bis drei Uhr nachts spielten wir Doppelkopf, denn es wollte einfach nicht dunkel werden im Sommer, während es aber doch schon so kühl war, dass wir den Holzofen befeuern mussten. Beim Blick aus dem Fenster oder während nächtlicher Plumpsklogänge nahmen wir im Zwielicht bisweilen spukähnliche Gestalten wahr, vor allem Elche, die sich dann aber entweder als Kühe oder als pure Phantome erwiesen, einmal auch als unheimlicher Spaziergänger. Wir ernährten uns von selbstgebackenem Brot und Kuchen, von den Männern geangelten Fischen (karge Ausbeute und Tötungshemmung, was uns Frauen aber nicht unsympathisch war), selbst gesammelten Pilzen und Beeren, aus denen wir auch Marmelade kochten. Damals schien alles ein wenig wie in Bullerbü-Kinderbüchern und -Filmen und nach meinem jetzigen Besuch muss ich sagen, dass sich – zumindest auf den ersten Blick – seitdem kaum etwas verändert hat.
Und nun, am ersten Abend im südschwedischen Östergötland, fuhren wir gleich nach meiner Ankunft am Bahnhof Norrköping an die Ostseeküste. Dort wirkte das Meer eher wie ein See oder Fjord.
Alles sehr idyllisch.
Wir aßen im Restaurant Hamnkrog in Stegeborg unterhalb der Burg sehr guten Zander mit Pfifferlingen. Da dort inzwischen auch einige Yachten dümpeln, sind die Preise entsprechend. Gewöhnungsbedürftig ist vor allem, dass die Restaurants zu fast allen Gerichten, auch zu feinem Zander, runde Kartoffeln mit Schale servieren, wobei es sich nicht um junge Kartöffelchen handelt, doch die Schweden mögen anscheinend die Pelle und verspeisen alles komplett. Vielleicht sind nichts anderes gewohnt. Manche sagen, man lebe dort in einer kulinarischen Diaspora.
Auf der Rückfahrt im Dunkeln sahen wir mindestens hundert Hirsche, vor allem Hirschkühe. Sie standen in Gruppen zwischen vier und mehr als zehn Tieren auf den Wiesen zu beiden Seiten der kleinen Landstraße. Zwei Hirsche überquerten direkt vor uns auch die Fahrbahn, ebenso wie sechs Dachse und zwei Hasen. Ich wähnte mich wie in einem Märchen oder Film, wann immer die Tiere im diffusen Abendlicht auftauchten und werde dieses Erlebnis nie vergessen.
Als ich am ersten Morgen aufwachte, blickte ich auf einen verwunschenen Wald mit wie hineingestreuten Felsen. Das erinnerte mich ein wenig an das Felsenmeer im Odenwald.
Daneben sah ich die Plumpsklos der ehemaligen Schule nebenan, in deren früherer Lehrerwohnung ich mein Quartier hatte. Mein Schlafzimmer war das damalige Kinderzimmer des Lehrersohns, der nun der Mann meiner Freundin ist. Die Schule wurde 1970 geschlossen, ein Raum wird jedoch als Museum erhalten, mit all den alten Schulbänken, dem erhöht gelegenen Lehrerpult und den alten Wandkarten. An einem Vormittag stand eine ausgewachsene Hirschkuh neben dem Klohaus. Leider kam ich nicht dazu, sie im Bild festzuhalten, zumal sich meine Freundin beeilte, sie wegzujagen. Die Hirsche dringen nämlich frech jede Nacht und mittlerweile auch tagsüber in die Gärten ein. Sie fressen alle Blütenknospen, lieben aber auch Aufgeblühtes, vor allem rote Rosen. Manche Hausbesitzer beginnen schon, ihre Häuser einzuzäunen, obwohl das sonst nicht ihre Art ist.
Vom Balkon aus schaute ich auf einen Bauernhof. Während ich zum Frühstück Walnussbrot mit Frischkäse und der weltbesten Blaubeermarmelade aß, sah ich zwar nicht Kleiner Onkel aus Pippi Langstrumps Geschichten, aber ein nicht eingezäuntes Pferd, das morgens direkt vor der Haustür spazieren ging und graste, hatte ich auch noch nicht gesehen. Hängebauchschweine und Hühner vervollständigten Bilder und Geräusche. Das fing ja gut an. Ich wähnte mich in meiner Kindheit, die ich – wenngleich auf dem Lande verbracht – so dann aber doch nicht erlebt hatte.
Auf jeden Fall fühlte ich mich auf der Stelle wie positiv ausgebremst und tiefenentspannt und das sollte sich die nächsten Tage nicht ändern.
Hach … da geht mir das Herz auf! Ich liebe Skandinavien, trotz Mücken und Bröselbrot 🙂
Ich freue mich, wenn du noch mehr berichtest und Bilder zeigst, da werde ich schon beim schauen und lesen tiefenentspannt!
Herzensgrüsse an dich,
Ulli
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Ja, irgendwas ist dort, was einen runterkommen lässt. Und Mücken waren Ende August auch nicht da zu meiner Erleichterung, dabei war es ungewöhnlich warm für diese Zeit, bis 32 Grad im Schatten. Liebe Grüße, Ute
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Ich liebe ja durchaus auch den Süden und das Meer, aber wirkliche Ruhe habe ich bislang nur im Norden gefunden, warum auch immer noch. Schön, dass die Mücken nicht da waren und dass es auch noch so warm gewesen ist!
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Ich dachte eigentlich auch, ich könnte am besten am Meer entspannen (im Süden). Aber wenn man will, hat man das Meer im Norden ja auch noch, zusätzlich zu den vielen Seen, Flüssen und Fjorden!
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Quelle belle aventure dans ces lointaines contrées qui nous révèlent des trésors de réminiscences inattendus, et nous surprennent à côté des actuels souvenirs tout frais ! Nous attendons la suite avec impatience ! 🙂
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Oui, je me sentais un peu comme dans un pays très lointain. Et en ce qui concerne les souvenirs, rétrospectivement („im Nachhinein“), on se rappelle peut-être plutôt du positif, heureusement…
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Schweden und Norwegen war einer meiner schönsten Urlaube.
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Glaube ich dir gern. Nach diesem zweiten Schwedenbesuch könnte ich mir auch wieder vorstellen, dort richtig Urlaub zu machen.
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Na, das weckt doch mal wieder Erinnerungen!
Es geht doch nichts über alte, um 27 Ecken Bekannte, die man mal besuchen könnte … 😉
Danke fürs Mitnehmen!
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