Die Grenzen der Selbst-Heilung

Nachdem ich ihn drei Tage nicht angerührt hatte, spielte mein Laptop verrückt, war launisch, eine ganze Woche lang. So wie eine Katze, die einem ihren Unwillen zeigt, wenn man aus dem Urlaub zurückkehrt und sie zwischendurch anderem Personal überlassen hat.

Plötzlich verabschiedete sich das Gerät, während ich arbeitete. Ohne Vorankündigung zeigte es mir sein schwarzes Gesicht, ätsch. Anschließend fuhr es wieder normal hoch. Doch dann – oder war es schon vorher? – spielte die Maus verrückt oder war es die Tastatur? Beim Schreiben sprang der Cursor vor, mal einen Buchstaben, mal ein Wort, mal eine Zeile und mal kriegte er sich gar nicht wieder ein und sauste und sauste. Bald fand ich heraus, dass ich den Wahnsinn stoppen konnte, indem ich eine beliebige Taste drückte. Bis es wieder losging, und wieder. Wollte ich im Internet ein Fenster öffnen, wurden alle bereits geöffneten Fenster aufgeblättert und zuckten wild vor und zurück, auf und zu. Meine Texte wurden zerschossen, nur mit großer Mühe gelang es mir, einen fehlerfreien Satz zu schreiben.

Dann fand ich einen Trick: Wenn ich unter dem Text neu anfing zu schreiben, lief es. So schrieb ich unten ein Wort oder einen Satz und kopierte ihn oben an die passende Stelle. Doch wehe, wenn ich zurück musste, um etwas zu korrigieren oder einzufügen – das ermüdende Spiel begann von neuem.

Was konnte das wohl sein, was tun? Ein Freund riet mir, die Mausbatterien zu wechseln. Ah, danach ging es! Genau eine Stunde lang. Ich begann zu googeln und stieß in diversen Computerforen auf zahlreiche Leidensgenossen – und auf grimmige – immer männliche – Moderatoren, Administratoren und „Helfer“, die anderen freundliche Antworten gaben: Wenn jemand näher nachfragte, wie er denn einen erhaltenen Tipp konkret umsetzen sollte, erhielt er weiterführend-mitfühlende Antworten à la „Schon mal von Google gehört?“ Jau.

Überhaupt: Egal wie freundlich jemand um Hilfe bat und wie konkret-sachlich er sein Problem schilderte (manche Forenregeln halten explizit dazu an, auf Worte wie „Hilfe!“ und andere Verzweiflungsäußerungen in der Themenüberschrift zu verzichten), niemals war in den Antworten der „Kompetenten“ auch nur ein einziges nettes Wort enthalten.

Wie mag die Psyche jener Männer aussehen, die da vor ihrem PC auf Hilfebedürftige lauern (ja, es kommt immer sofort eine Antwort!), nur um ihnen dann eine Antwort zu geben, die auch nur PC-Freaks verstehen oder aber um sich dem Spaß der gemeinen feinen Andeutung hinzugeben, damit man verzweifelt weiterfragt, um dann so eine ins Fäustchen gelachte, aber sofortige Reaktion hingeworfen zu bekommen?
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Ich beschloss, mich dem nicht auszusetzen und suchte nur nach zielführenden (hasse das Wort, genau wie proaktiv, aber egal) gescheiten Antworten. Deren fand ich immerhin doch eine ganze Reihe und so machte ich mich an die Arbeit: Touchpad deaktivieren, überprüfen, ob ich Mausbeschleunigung eingestellt hatte, Treiber neu installieren – doch nichts tat sich und mein Gerätemanager teilte mir weiterhin höhnisch mit, dass Tastatur und Maus einwandfrei funktionierten.

Dann fand ich den Tipp, mal den Akku auszubauen. Okay, dem ging ich dann doch nicht nach, zum Glück (was dabei alles passieren kann, las ich aber erst später). Aber der Rat, eine Systemwiederherstellung durchzuführen, erschien mir wie ein rettender Strohhalm und so setzte ich das System auf eine Woche vor Auftreten des Problems und der letzten Systemaktualisierung zurück. Wer weiß, ob eine Programmaktualisierung nicht etwas zerschossen hatte? Mein Tun empfand ich schon als – Herzklopfen hatte ich. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich so etwas aus lauter Ehrfurcht und Angst nie getraut. Doch siehe: Danach funktionierte alles weiter wie gehabt. Leider auch das Cursorproblem, haha! Aber, oh, eine neue Meldung: System nicht virengeschützt! Wie das?

Der Virenscanner war nun plötzlich deaktiviert und es gelang mir nicht, ihn zu reanimieren. Tot. Wieder durchforstete ich das Internet nach Lösungen. Raffiniert: Durch die Systemzurücksetzung, bei der ja angeblich gar nichts passieren kann, wurde das Virenprogramm deaktiviert. Ach so. muss einem ja gesagt werden. Vorher am besten. Huch, was war das denn? Ein kleines Fenster mit dem Bundeskriminalamtvirus erschien wie durch Geisterhand. Oooh! Den hatte sich doch vor einiger Zeit meine Nachbarsfreundin von gegenüber eingefangen… nix ging mehr. Schreck lass nach! Ich bewältigte den Schreck, indem ich die Meldung einfach wegklickte, ha, ihr glaubt doch nicht, dass ich draufklicke und mir erst was einfange, was ich noch nicht habe?!

Am Vorabend, das was auch schon so merkwürdig… Eine andere Nachbarin, die von oben, rief mich an und erzählte mir mit ängstlicher Stimme, vor unseren Haus würden seit zwei Stunden zwei junge Männer in einem alten Golf hocken, auf Laptops rumhacken und zwischendurch per Handy telefonieren. Sie befürchte, die könnten versuchen, sich in unser WLAN einzuhacken. Hmm, fragte ich, skeptisch, wieso, weshalb, warum sollten sie, noch dazu so auffällig? Daraufhin berichtete sie von einer Freundin, bei der es eben so geschehen sei: Hacker hatten auf ihren E-Mail-Account zugegriffen, dann an alle ihrer Adressen eine Mail geschickt unter ihrem Namen. Inhalt war ein Hilferuf: Sie befände sich im Ausland, alles Geld und Papiere seien ihr gestohlen worden, sie wisse nicht weiter, müsse irgendwie zurückkommen und bitte um Geld auf folgendes Konto… Meine Nachbarin jedenfalls erklärte, sie habe sich vorsichtshalber aus dem Internet ausgeloggt. Was ich dazu sage? Nun, ich beschloss, mal den Mülleimer rauszubringen und mir unauffällig das KFZ-Zeichen zu notieren. Aber erst puzzelte ich noch an meinem ureigenen Problem. Als ich dann mal wieder aus dem Fenster schaute, fuhr das Auto gerade weg und natürlich so, dass ich das Nummernschild nicht sehen konnte.

Und dann diese BKA-Meldung… Ob da doch? Schwitzend suchte und fand ich im Internet „mein“ Virusscannerforum, registrierte mich flugs und stellte meine Frage. Umgehend erhielt ich eine Antwort, ich müsse mein System im abgesicherten Modus (minimale Ausführung) starten mit msconfig und dann das Virenprogramm deinstallieren. Wieder normal starten und das Programm neu installieren. Der nette Helfer vergaß nicht, meinen Hilfeschrei mit der trocken hingeworfenen Bemerkung zu ergänzen, ich sei paranoid. Na ja, über solche Angriffe konnte ich in dieser Situation locker hinwegsehen.

Puuuh, im abgesicherten Modus waren alle Icons so schön groß, hübsch verteilt über den ganzen Monitor – es sah aus wie eine Darstellung für sehschwache Senioren oder Kleinkinder mit unausgereifter Feinmotorik. Deinstallieren also, und nun neu starten. Oups, keine Wahlmöglichkeit, das Ding bootete schon wieder im abgesicherten Modus. Mir wurde noch heißer.

Nun ging ja gar nichts mehr, von wegen Internet und weiter nach Hilfe schauen. Doch irgendwann schaffte ich es. Dann hatte ich auch den Virenscanner aktualisiert und beruhigend meldete er sich flugs mit der Meldung, das System sei geschützt. Während ich es schaffte, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen, ließ ich vorsichtshalber das komplette System checken, danach sah ich noch einen Film und endlich war alles fertig: 0 Dateien infiziert. Schnauf.

Nun war ich also wieder bei meinem inzwischen gewohnten, doch trotzdem unerträglichen Cursorproblem (ach ja, die Hilferufe zu schreiben, kostete unglaublich viel Zeit wegen des durchgedrehten Cursors!).

Am nächsten Morgen, gestern, fuhr der Rechner, übrigens zum dritten Mal in dieser Woche, mit einem schwarzem Monitor, einem nervös blinkenden Cursor und einem unerträglich lauten Dauerton hoch bzw. hängte sich auf. Diesmal wollte das Geräusch nicht aufhören. Es war halb sechs, das Haus schlief noch, alle außer mir. Es klang wie eine Alarmanlage, dann kam ein rhythmisches Klopfgeräusch dazu. Kurzerhand klappte ich den Laptop zu, warf ich ein großes Kissen darüber und hoffte, ihm damit das Maul zu stopfen, nein, ich gestehe, dass ich ersehnte, er möge elendiglich ersticken. Kurze Zeit später erstarb der Ton tatsächlich, und, oh Wunder, Windows erschien.

Nach der ersten Erleichterung graste ich das Internet nach Pieptönen und deren Diagnose ab. Aha, was es da alles gab, einmal lang, mehrfach kurz und alle Zwischenstufen. Wenn einmal lang, dann ist es vielleicht das Netzteil. Oder auch die Grafikarte. Oder… Um es zu wissen, müsste man wissen, was für ein BIOS der Rechner hat. Hm, ist es nicht Ami? Oder doch Award? Meine Suche ergab nichts.

Dann endlich gab ich auf. Sicher war auch der morgendliche Schock zu groß gewesen. Ich tat, was ich schon vor einer Woche hätte tun sollen: Ich ging zum PC-Doktor. Schon am Telefon fragte mich der Mann, ob ich etwas auf die Tastatur geschüttet hätte, noch bevor ich mein Problem vollumfänglich, wie es so schön heißt, schildern konnte. Ja, da war mal was, aber nur ein paar Tropfen. Ach ja, hatte auch eigenhändig gerade drei Tastendeckel in verdächtigen Bereichen abmontiert, mit Wattestäbchen die unverdächtig sauberen Einbuchtungen „gesäubert“ und die Dinger sogar richtig wieder einrasten lassen – mutig war ich über alle meine bisher bekannten PC-Eingriffsbegrenzungsselbstbeschränkungen gegangen und war erfolgreich, sogar ein bisschen stolz auf mich).

Ich durfte den Laptop sofort vorbeibringen und nach einer Stunde erhielt ich den entscheidenden Anruf: Tastatur komplett defekt, neue erforderlich. Flüssigkeit – ein paar Tropfen mehr – hatte sich darunter verteilt etc. und Kurzschlüsse verursacht. Ich konnte mir das auch selbst ansehen: tatsächlich, da klebte überall was. Nun, ja, irgendwann hatte ich, war es Wein oder Tee?, etwas verschüttet, sicher hatte mich beim Lesen jemand zum Lachen gebracht… Dabei war wohl doch etwas hineingelaufen, als ich vermutet hatte, denn ich hatte nur winzige Spritzer auf der Oberfläche entdeckt. Zu meiner Rehabilitation erfuhr ich dann aber, dass Defekte aufgrund solcher, ähm, Ungeschicklichkeiten, sehr sehr häufig passieren. Inzwischen gibt es sogar Laptops, die durch eine Folie unter der Tastatur vor verschütteten Flüssigkeiten schützen.

Heute arbeite ich noch mit einer provisorischen externen Tastatur – übrigens klemmt das Ö an der Leihtastatur, Unverschämtheit! –, doch morgen wird voraussichtlich die neue eingebaut und ich kann wieder normal tippen.
Ich habe mir übrigens vorgenommen, nie mehr am Laptop zu essen und zu trinken und das Gerät vor allem nie mehr länger allein zu lassen. Er heißt ja nicht umsonst TravelMate.

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9 Antworten zu Die Grenzen der Selbst-Heilung

  1. Uffnik schreibt:

    So früh am Morgen sind Deine Geschichten absolut Gift für mich. Das ist so nervenaufreibend, daß ich zwei Betablocker extra zur Tagesration gebraucht habe. Wow! So richtig mitfühlen kann das nur, wer es schon einmal so oder ähnlich erlebt hat. Und das habe ich. Sogar mehrfach. Meine Konsequenz: nix meh´mit Schlepptop. Alles nur noch über den heimischen PC. Dann wird es mit der Klaviatur auch nicht so teuer 😉

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  2. Philipp Elph schreibt:

    In wenigen Worten hast Du es im letzten Satz gesagt:
    „Essen und Trinken in der Nähe der Tastatur schadet deren Gesundheit.“
    Kann nicht irgend jemand für ein Gesetz sorgen, damit dieser Warnhinweis neben die üblichen Sprüche wie „Zuverlässig im Geschäftsalltag“, „Robuste Oberflächen“, „Prämiertes Design“ geklebt werden muß?

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  3. vilmoskörte schreibt:

    Vollumfänglich, zeitnah, proaktiv, zielführend – es ist erstaunlich, wie viele Wörter die Businesskaspare erfunden haben, um uns zu ärgern.

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  4. rotewelt schreibt:

    Stimmt. Lauter Luftblasen, Neuschöpfungen, die Bedeutendes vorgaukeln sollen, doch nichts steckt dahinter. Ich bin allergisch dagegen. Das Thema wäre einen eigenen Beitrag wert.

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  5. kormoranflug schreibt:

    Essen und trinken am Arbeitsplatz ist doch sowieso verboten, auch für Selbständige.

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  6. erinnye schreibt:

    Da sprichst Du was an. Die Forums-Administratoren sind in der Tat immer sehr grimmige Männer. Besonders aufgefallen ist mir das übrigens im WordPress „Hilfe“-Forum. Da würde ich mich ja nie, nie, nein, unter keinen Umständen erdreisten, eine Frage zu stellen. Meine Privatthese dazu ist, dass Menschen, die ständig mit aus ihrer Sicht Defizitären zu tun haben, gelegentlich eine bestimmte Haltung entwickeln.

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    • vilmoskörte schreibt:

      Das kann ich gar nicht nachvollziehen, insbesondere für das deutschsprachige Forum trifft das m.E. überhaupt nicht zu. Der Administrator zodiac1978, der das nicht als „grimmiger WordPress-Mann“ macht, sondern freiwillig, unbezahlt und freundlich, wird im Gegenteil schon mal von ungeduldigen WordPress-Nutzern unangemessen scharf angegangen.

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      • rotewelt schreibt:

        Schön, ich freue mich immer, von ungrimmigen Administratoren zu hören! Wenn ich mich dann mal an das WordPress-Forum wenden sollte, werde ich mich an diesen zodiac wenden, wenn möglich! Und natürlich hast du Recht: Auch manche Nutzer sind unhöflich und unfreundlich, leider!

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  7. rotewelt schreibt:

    Interessant, erinnye, dass auch bei wordpress grimmige Männer arbeiten, aber es war ja zu erwarten! Also frage ich besser jemand anderen, wenn ich Hilfe brauche… Vielleicht ist an deiner These etwas dran. Aber muss es nicht schon ein bestimmter Menschentyp sein, der andere grundsätzlich als defizitär betrachtet und nicht als jemanden, der einfach nur technische Hilfe braucht (und seine Fähigkeiten auf anderen Feldern hat, in denen die grimmigen Männer „defizitär“ sind)?

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